Artikel von Hilger Greve
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Hätten Sie Angst in einer Stadt wie Berlin U-Bahn zu fahren? Damit wären Sie nicht allein und Günde hätten Sie allemal. Anfang dieses Jahres sind auf dem Berliner U-Bahnhof Lichtenberg zwei Maler, auf dem Weg in den Feierabend, von einer Gruppe Jugendlicher brutal zusammengeschlagen worden. Der Vorfall zog die Aufmerksamkeit von Politik und Medien auf sich und es wurde wieder mal diskutiert, wie man der zunehmenden Jugendgewalt beikommen kann. Denn der altbekannte Reflex der Politik, nun die Installation von noch mehr Überwachungstechnik zu fordern, wäre fehl am Platz gewesen. Die Tat wurde von einer Überwachungskamera aufgenommen, die Täter ruckzuck überführt und das Video war schneller auf Youtube, als Sie Migrantengewalt buchstabieren können. Allein genutzt hat es den beiden Malern nicht. Die Politik musste kreativer werden, also diskutierte man in Folge den Warnschussarrest, forderte mehr Streetworker, erfand den Kiezwalker und so weiter.
Dabei hätte man aus dem Vorfall viel lernen können. Während der Maler Marcel R. wochenlang mit Hirnblutungen im Koma lag, hatte Steffen O. mehr Glück. Er konnte zunächst fliehen doch die Täter verfolgten ihn. Als sie ihn gestellt hatten – er lag bereits wieder am Boden – mischte sich ein Passant ein. Michael M., Mitglied des Rockerclubs Bandidos, schritt ein und als die halbstarken Missetäter nicht von ihrem Opfer abließen, griff er mit der rechten Hand in seine Lederjacke. Die Täter ergriffen die Flucht. Ob er eine Handfeuerwaffe hat aufblitzen lassen oder ob der bloße Griff eines Bandidos in seine Jacke reichte um die Delinquenten zu vertreiben, ist nicht überliefert.
Was können wir daraus lernen? Erstens: Schusswaffen können Straftaten verhindern. Zweitens: Es muss dabei nicht einmal ein Schuss fallen, die bloße Anwesenheit, gar der bloße Glaube an die Anwesenheit einer Waffe kann ausreichen. Drittens: Schusswaffen können Menschen bestärken zivilcouragiert zu handeln. Nun, es gibt auch gewichtige Gründe gegen einen privaten Waffenbesitz; diese wird Ihnen jeder durchschnittliche Deutsche mantraartig herunterbeten, schneiden Sie dieses Thema auch nur an. Möchte man eine differenzierte Debatte über dieses Thema verfolgen, muss man einmal mehr über den großen Teich schauen.
In den USA garantiert der zweite Verfassungszusatz den Besitz von Schusswaffen. Kurz und knapp ist dort zu lesen: „Da eine wohl organisierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden.“ Das sagt das Bundesrecht und die Bundesstaaten, ja sogar einzelne Gemeinden, können abweichende Regelungen erlassen. Alaska, Arizona und Vermont haben ein liberales Waffenrecht. Wyoming hat erst kürzlicht den zweiten Verfassungszusatz bestätigt und in sechs weiteren Bundesstaaten laufen entsprechende Gesetzes-Initiativen. Die 210 Seelen Gemeinde Geuda Springs in Kansas, verpflichtet die Bürger gar zum Besitz einer Schusswaffe nebst Munition.
Was für uns wie Politik von einem anderen Stern klingt, folgt einer simplen Logik: More Guns, less crime. Oder wie es ein Ratsmitglied von Geuda Springs schlicht formuliert: „Wenn jeder bewaffnet ist, kommen die bösen Jungs erst gar nicht zu uns“. Die jüngste amerikanische Liberalisierungswelle des Waffenrechts ist die Folge einer Debatte, die durch verschiedene – mit Schusswaffen (!) – verübte Bluttaten ausgelöst wurde. Die letzte davon war der Amoklauf des 22-jährigen Jared-Lee Loughner in einem Einkaufszentrum in Tucson (Arizona), bei dem sechs Menschen gestorben sind und die demokratische Politikerin Gabrielle Giffords schwer verletzt worden war.
Diese grausamen Straftaten wurden fast ausschließlich in den so genannten „Gun free Zones“ verübt, was auch logisch erscheint, da diese Taten meist kühlen Kopfes im Voraus geplant werden; oder würden Sie einen Amoklauf ausgerechnet dort planen, wo zu erwarten ist, dass bewaffnete Bürger Ihnen den Garaus machen, bevor Sie Ihr grausames Plansoll erfüllt haben? Genau hier setzt die Argumentation Waffenbefürworter an: Ihrer Logik entsprechend können bewaffnete Bürger das Schlimmste verhindern.
Als Belege hierfür gelten den Vertretern des liberalen Waffenrechts zwei Vorfälle: Der Amoklauf Virginia Tech State University mit 33 Toten und 25 Verletzten, sowie der Amoklauf an der Appalachian School of Law mit je drei Toten und Verletzten. Im Gegensatz zum ersten Vorfall, wurde an der Appalachian School der Amokläufer von zwei Studenten gestoppt, die ihre privaten Schusswaffen aus ihrem Auto holten und den Amokläufer zur Aufgabe zwangen.
Die Argumentation der Gegner des liberalen Waffenrechts steht im Wesentlichen auf zwei Säulen: Erstens: Man kann sich auch mit nicht tödlichen, legalen Waffen verteidigen. Und Zweitens: Wenn es generell verboten ist Waffen zu erwerben, wird es auch weniger Leute geben die das Risiko und die Anstrengung auf sich nehmen, dies trotzdem zu tun. Nur diese Argumente greifen hier nicht. Ein Amokläufer der bereit ist seinen eigenen Tod in Kauf zu nehmen, wird wohl auch keine Skrupel haben und keine Anstrengung scheuen, eine Waffe illegal zu erwerben. Und genauso wenig ist vorstellbar, dass die beiden bewaffneten Studenten ihren amoklaufenden Ex-Kommilitonen mit Pfefferspray hätten aufhalten können.
Ein Grund warum die Amerikaner so vehement auf ihr Recht auf freien Waffenbesitz pochen wird selten genannt. Kürzlich sah ich eine Dokumentation im deutschen Staatsfunk, die das amerikanische Waffenrecht, natürlich kritisch, beleuchten sollte. Dort wurde ein Dorf-Sheriff interviewt, der wohl als Stereotyp für die amerikanische Cowboymentalität herhalten sollte. Er sagte etwas ganz bemerkenswertes. Ein gut bewaffneter Bürger hält die Politiker davon ab zu tun und lassen was sie wollen. Dabei zeigte er auf seinen Colt. In dieselbe Kerbe schlägt auch der österreichische Verfechter liberaler Waffenpolitik, Andreas Tögel. Er hält es mit Max Weber, der in seinem Aufsatz „Politik als Beruf“ die amerikanische „vox populi“ mit der Feststellung zitiert, „dass der selbstbewusste US-Bürger es vorziehe, sich eine Klasse von Beamten zu halten, auf die er spuckt. Die Europäer bevorzugten dagegen solche, die auf die Bürger spucken.“